In unserer Serie “Das Jahr mit dem Winzer” erleben wir mit dem Juni-Beitrag eine besondere Ausnahmesituation im Weingut BR-Nett in Duttweiler. Die wochenlangen Niederschläge, gepaart mit warmen Temperaturen, haben die Entwicklung und Verbreitung des Falschen Mehltaus, auch Peronospora genannt, in einem in unserer Region bisher einzigartigen Umfang gefördert. Für Winzer Christian Nett ergibt sich eine völlig neue Situation, wie er sie in seiner 15-jährigen Laufbahn noch nicht erlebt hat. Insbesondere nicht zu diesem frühen Entwicklungsstadium der Trauben, was das Ausmaß noch viel schlimmer macht. Auch die Ökologische Rebschutzberatung des DLR schreibt von “einem Ausbruch in bisher unbekanntem Ausmaß im südlichen Rheinhessen und Teilen der Pfalz”.

Christian Nett zeigt uns Peronospora in den Weinbergen © pfalzweinproben.de
Die Pilzerkrankung, die seit 1878 in Europa angekommen ist, kann zu massiven Ernteausfällen führen. Befallene Traubenteile und Blätter sterben ab, die Fotosynthese wird reduziert. Gerade im Bioweinbau gibt es momentan nur die präventive Maßnahme der Bespritzung mit Kupferpräparaten. Kurative Mittel gibt es keine, ist die Rebe also einmal infiziert, spitzt sich die Lage bei feuchter Witterung drastisch zu. Kaliumphosphonat, das früher zur wirksamen Bekämpfung eingesetzt werden konnte, ist seit 2014 nicht mehr erlaubt. Wie Herr Nett Senior erklärt, gibt es heute im Bioweinbau nur noch einen Bruchteil der früher zugelassenen Mitteln der Bekämpfung.
Seit ca. vier Wochen ist das Team im viertägigen Abstand draußen und besprüht die schnell nachwachsenden Triebe. Mit Sorge wurden vor einigen Wochen die ersten sogenannten Ölflecken (Aufhellungen an der Blattoberseite) auf den Blättern entdeckt. Der ständige Niederschlag tat dann das seine. Die Feuchtigkeit transportiert die Sporen der befallenen Blätter auf weitere Blätter und auf die Gescheine, die späteren Trauben. Blattunterseiten sehen wie mit Mehl bestäubt aus, vor oder während der Blüte befallene Beeren werden ausgetrocknet. Die Infektion ist zunächst nicht sichtbar, die Inkubationszeit beträgt je nach Rebsorte, Standort und Witterung bis zu zwei Wochen.
Ab morgen wird die Mannschaft die Triebe oberhalb des höchsten Drahtes einkürzen und die Traubenzone radikal entblättern, d.h. die Gescheine freilegen. In seinen bisher vierzehn Jahrgängen hat er diese Arbeit bereits zur Blüte erledigt, dieses Jahr wurde damit das erste Mal gewartet. So sollten die Gescheine geschützt werden, wenn weitere Sporen mit dem Regen von oberen Blättern in die Traubenzone gespült werden. Jedoch kann nur das sichtbar Angegriffene entfernt werden, es wird sich in den kommenden Tagen erst zeigen, wie viel weiter die Infektion unter Umständen bereits verbreitet ist.
Das heißt mit anderen Worten, der Schaden ist noch nicht abzusehen. Das wiederum ist eine besonders belastende Tatsache für den Winzer. Hagel- und Frostschäden der Vergangenheit brachten mit dem Schrecken zumeist auch Klarheit. Man konnte direkt kalkulieren und entsprechend reagieren, damit wieder nach vorne schauen. Den zu erwartenden Ausfall, aber auch eventuell benötigte Zukaufmengen einplanen. Denn ein Betrieb mit 8 Mitarbeitern, der sich zudem in der Neubauphase befindet, kann sich einen Totalausfall nicht leisten. In diesem akuten Fall muss sich das Weingut aber zunächst gezwungenermaßen noch in Geduld üben, bis der tatsächliche Verlust absehbar wird.
Die gesamte Anbaufläche des Betriebes ist betroffen, wenn auch in jeweils unterschiedlicher Stärke. Wir sind heute verschiedene Rebzeilen abgefahren und ich konnte selbst sehen, wie der Befall hier weiter fortgeschritten war als dort. Richtig erklären lässt sich das nicht. Ein Faktor sind die Regenfälle, die lokal sehr unterschiedlich sein können. Sieben Messstationen haben Netts in den Weinbergen verteilt, die Niederschlagsmengen am vergangenen Samstag zum Beispiel varierten zwischen 3 und 14 l/m2 in einem Radius von 5 km um das Weingut herum.
Christian Nett stellt sich jetzt die Frage, ob er beim Ökoweinbau bleiben kann oder zur Schadensbegrenzung zu konventionellen Mitteln zurückkehrt. Eine Entscheidung, die ihm nicht leicht fällt und die – so oder so – weitreichende Konsequenzen mit sich bringen wird.
Bei der Weinbergstour heute, wie auch jetzt beim Schreiben, spüre ich einen Druck in der Magengegend. Man kann nur erahnen, wie anstrengend solche Bewährungsproben für den Winzer sind. Aber da er in der Vergangenheit schon vieles instinktiv richtig entschieden hat, wird er auch hier den besten Weg wählen.
Bei der Abfahrt fing ich diese Aufnahme mit Blick auf die Zukunft ein. Die Fläche ist plan, das Bauprojekt läuft weiter. Alles wird gut:

Hallenneubau BR-Nett, Stand Juni 2016
Jetzt kommen trockene Tage und damit eine Entspannung der Lage. Viel Glück an Familie Nett!

Viel Glück!
Weiter geht es mit dem nächsten Beitrag im Juli…
Die bisherigen Folgen unserer Serie „Das Jahr mit dem Winzer“:
Spatenstich!
Mai
März & April
Januar & Februar
Dezember
November
Kategorien:weingeschichten